Crowdsourcing am historischen Institut der Uni Zürich
Eine ganz besondere Berichterstattung zu einem Crowdsourcing Event nicht nur an der Uni Zürich - herzlichen Dank an Yvonne Hausheer für diesen Beitrag!
Was haben mein Urgrossvater Johann Otto Huber von Mettendorf TG und das historische Institut der Universität Zürich gemeinsam? Beide feiern am 22. Oktober einen Geburtstag. Zugegeben, für Urgrossvater hat der Tag nicht mehr die Bedeutung wie einst, als er noch aktiv am jährlichen Familienfest teilnahm. Um so aktueller ist das Datum für das historische Institut der Universität Zürich, das just an diesem Tag seine erste Crowdsourcing-Party durchführte.
Es ist angerichtet
Lang im Voraus wurde mit einem originellen Youtube-Clip zum internationalen Hackathon eingeladen: International? Ja, denn zeitgleich fanden sich auch an den Universitäten Oxford und Berlin Personen bereit, an dem Event mitzumachen. In der Tat waren alle Menschen der Welt – ob in einer Millionenmetropole daheim oder auf dem weissen Flecken auf der Landkarte – eingeladen, an dem Anlass teilzuhaben und sich mittels Live Stream auch visuell einzubringen. Vorausgesetzt, man verfügte über einen funktionierenden Internetanschluss und kommt mit dem Internet zurecht.
Startschuss, der keiner war
Irgendwann fanden sich die ersten Interessierten in dem fast leeren Veranstaltungszimmer ein: Wiein der klösterlichen Mensa waren die zahlreichen Tische aneinandergereiht, statt Holzteller und -löffeljeder mit drei Laptops bestückt. Man suchte sich ein Plätzchen und richtete sich seine „Zelle“ ein. Kurz nach 14.00 hüstelte Tobias Hodel, der Koordinator des E-Learning-Projekts Ad fontes, ins Mikrofon und eröffnete die Party mit Wackelkontakten im Mikroanschluss. Gleich übernahm Erik Hasselberg das Wort und stellte den Anwesenden Ad fontes mit all seinen unterschiedlichen Kapazitäten vor.
Besonders Ehrgeizige oder zuvor Eingeweihte achteten nur auf sich selbst und begannen selbstbewusst mit dem Erfassen der Daten. Die scheuen Schreibwilligen warteten geduldig auf das Startsignal zum kollektiven Datenerfassen. Derweil begann man mal mit der Tastatur zu spielen oder schielte kritisch auf den Monitor des Nebenmanns und der Nebenfrau. Am Ende realisierte auch die Verfasserin, dass eine Gruppeneinführung zum Erfassen des Cappelli offenbar nicht vorgesehen war und sie sich selbst drum kümmern musste. Nach Durchsicht der im Zimmer verstreuten schriftlichen, aber selbstredenden Anweisungen und der mitgebrachten Kenntnis des originellen online-clips erreichte sie die erste Etappe und loggte sich erfolgreich in die Erfassungsmaske des Cappelli ein. Mit wenigen trial & error wirkte sie nun endlich mit beim grossen kollektiven Erfassen des ominösen Cappelli.
Cappelli - What or who the hack is Cappelli?
Wir sprechen vom Lexicon Abbreviaturarum, eine Sammlung von rund 15'000 lateinischen und italienischen Abkürzungen, die anno 1899 vonAdriano Cappelli publiziert worden war und seither die Forschungsarbeit an historischen Schriften weltweit massiv erleichtert. Mit der Digitalisierung dieses Meilensteins der Forschung werden diese Abkürzungen jetzt der Online-Gesellschaft zugänglich gemacht.
Lose und Reden im Halbstundentakt
Nun wurde erfasst oder mit anderen Worten haCkappelliert, was das Zeug hält. Immer mehr Freiwillige gesellten sich dazu und bald schon standen sie Schlange. Ein reger Betrieb, ein Kommen und Gehen herrschte da. Manche erfassten für eine knappe Stunde, andere länger, aber wenige assistierten bei der digitalen Wiedergeburt des Cappelli von Beginn bis zum Schluss.
Um die tippwütigen Freiwilligen bei Kraft und Laune zu halten, sorgte das OK für ein paralleles Unterhaltungsprogramm. Neben einer Lotterie mit stündlichen Ziehungen wurde mittels Live-Streams und Skype Kontakt zu den Universitäten Oxford und Berlin versucht, wo ebenso fleissig getippt wurde. Bei der Verbindung nach Oxford stand wohl jemand auf dem technischen Schlauch, aber für einen Augenblick konnten wir die Mithacker sehen. Nicht zuletzt wurde der Marathon etwa alle dreissig Minuten bereichert mit einem Kurzvortrag, indem eine Fachperson aus ihrem spezifischen Bereich der digitalen Geisteswissenschaften über die aktuellen Forschungen berichtete.
Erik Hasselberg | Einführung in Ad fontes |
Erik Hasselberg | Cappelli & Digital Humanities - Neue Perspektiven |
Basil Vollenweider / J. Huniziker | App fontes - die App fürs Archiv |
Eliane Kurmann | Afrika im Fokus - Fotografie in Ad fontes |
Thomas Bruggmann | Urkundenbücher im Netz: Das Bündner und das Liechtensteinische Urkundenbuch |
Rezia Krauer | Das Chartularium Sangallense und monasterium.net |
André Bruggmann | Geographisch-interaktive Darstellung des HLS |
Jonas Schneider | HLS und GIS |
Infoclio | Compas - eine Ressource für Studierende |
Rainer Hugener | Rechtsquellen im Netz. Neue Präsentationsformen, Zugänge und Kooperationen |
Natalia Korchagina | Automated recognition of temporal information in Swiss Law sources |
Pascale Sutter / Bernhard Ruef | Ontologien in Rechtsquellen |
Dieser Überblick muss genügen, denn selbst eine kleine Zusammenfassung für jedes einzelne Referat würde den Rahmen dieser Zeilen sprengen. Wer sich spezifisch für ein Thema interessiert, wird im Netz schon Wege finden. Jedenfalls dürfen wir gespannt sein, was die Historiker und Archivaren in der nahen digitalen Zukunft für uns alles bereithalten werden. Haltet die Augen offen!
Batterien füllen ...
Simultanes Handeln war gefragt: Weiterbildende Inputs über Ohr und Auge und gleichzeitig fehlerfreies Ouput am eigenen Bildschirm in Form von Erfassen der Schlingen und Kürzel aus vergangen Jahrhunderten: Solches Multitasking fordert höchste Konzentration und irgendwann braucht der Körper Energie. In der Verpflegungsoase konnten sich die Ausgepowerten am reichen Angebot des Hotdog-Buffets mit frischen Früchten und leckeren Zwetschgensträuseln wieder physisch aufbereiten. Der Flüssighaushalt wurde mit Bier und Wein aufgefüllt, was zu unserer Klausur irgendwie passte.
... und weitertippen
Der Mix an Angeboten schien fruchtbar, denn die Digitalisierung schritt in Meilenstiefeln voran. Bereits drei Stunden nach Beginn war über die Hälfte der über 500 Seiten erfasst und nach 19.00 Uhr stöhnten die ersten, weil sie keine neue Seite mehr öffnen konnten. Plötzlich wurden nochmal 18 Seiten freigeschaltet, und der Schlussspurt begann: Knapp nach 20.00 Uhr wurde die letzte, die 14'356. Abkürzung unter Applaus der Anwesenden erfasst. Mit Tischbombe und Wein im Plastikbecher wurde das historische Momentum am historischen Institut gefeiert. Geburtstag eben.
Mission erfüllt - Wie geht es weiter?
Hiermit ist erst die erste Etappe ist beendet. In einem nächsten Schritt werden die Daten überarbeitet, vereinheitlicht, anschliessend systematisiert und schliesslich in ein eigens dafür entwickeltes Webinterface einpasst. Bis Ende Januar sollen die Früchte dieses Hackathons über App fontes abrufbar sein.
Fazit: Das kollektive Erfassen hat Spass gemacht und die Verfasserin freute sich doppelt, weil sie endlich einen Beitrag an die Online-Welt übergeben konnte, nachdem sie viele Jahre von dem breiten Wissen des WWW profitiert hat.
Bleibt zu hoffen, dass dieser Anlass nicht der Erste und Einzige war: Der nächste 22. Oktober kommt bestimmt. Auch der nächste Hackathon? Many happy returns of the day...
Für die GHGO:
Yvonne Hausheer in Zürich
Der Hackathon wurde ermöglicht durch die Initiative Interaktives Lernen der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich. Zudem wurde er unterstützt durch: Historisches Seminar, Digitale Lehre und Forschung, Zürcher Mediävistik und Lehrstuhl Teuscher.
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